Des Blättchens 12. Jahrgang (XII), Berlin, 20. Juli 2009, Heft 15

Feminismus für Frauen

von Ines Fritz

Am Pfingstsonntag wurde der amerikanische Abtreibungsarzt George Tiller auf dem Weg zum Gottesdienst in Wichita erschossen. Er war einer der wenigen Ärzte in den USA, die noch Abtreibungen im Spätstadium vornehmen. Der mutmaßliche Täter, ein 51jähriger Mann, gehört einer religiösen Gruppierung an, die jegliche Schwangerschaftsabbrüche verurteilt. Er soll allein gehandelt haben.
Tiller und seine Mitarbeiter waren seit über 23 Jahren immer wieder Ziel militanter Abtreibungsgegner. In Deutschland sieht derweil die EMMA das »Recht auf Abtreibung« in höchster Gefahr. Denn ein neues, schärferes Abtreibungsrecht – so heißt es reißerisch in der EMMAonline, 14. Mai 2009 – sei beschlossen, und es gehe nun darum anzuprangern, daß Frauen, die nach der 12. Schwangerschaftswoche abtreiben, »das Herz noch schwerer gemacht wird mit einer Zwangswartefrist von zusätzlichen drei Tagen zwischen Diagnose und dem Berechtigungsschein für eine Abtreibung«. Im Jahr 2007 waren das immerhin 2 303 Fälle. Wird das Herz etwa leichter, wenn es schneller geht?
Kann es ein »Recht auf Abtreibung« geben?
Aus feministischer Sicht waren die Lebensbedingungen für Frauen in der DDR zwar nicht ideal, aber dennoch angenehmer als heute. Es gab ein Recht auf Selbstverwirklichung, einschließlich eines möglichen Schwangerschaftsabbruchs. Juristisch eindeutig, moralisch fragwürdig. Dabei nehme ich traurig zur Kenntnis, daß den Feministinnen der BRD leider nicht mehr einfallt als Ostalgie. Emanzipatorische Politik für Frauen ist so jedenfalls nicht zu bekommen. Das Zurückwünschen der DDR-Frauenfreiheiten – von kostenfreier Verhütung, über eine liberale Abtreibungspraxis bis zur Gleichstellung im Erwerbsleben – ist eben auch kein sozialer Fortschritt und dabei zudem in bezug auf Abtreibung aus ethischer Sicht erschütternd. Abtreibung ist kein Frauenrecht, sondern eine Katastrophe und ein Drama. Es straffrei zu dürfen, kann nicht erklären, daß es wirklich getan wird. Ein Recht auf Selbstbestimmung sollte für Frauen bedeuten, Mutter zu werden oder eben nicht. Ein Recht auf Abtreibung rechtfertigt es nicht. DDR-Bürgerinnen ließen sich trotz liberaler Abtreibungspraxis dennoch nicht scharenweise dazu überreden, Abtreibung als Verhütungsmethode zu akzeptieren, und bekamen Kinder – und verhältnismäßig mehr als heute. Auch die Meinung schwindet, daß Erwerbsarbeit von Müttern (!) den Kindern schade.
Ich aber habe noch nie verstanden, welche Freiheit es für Frauen bedeuten soll, abtreiben zu können, nur weil sie keine Mütter werden wollen. Einen Widerspruch zwischen Mutterschaft und Selbstverwirklichung sehe ich nicht. Für mich geht das eine nicht ohne das andere: Muttersein macht mich komplett.
Zur moralischen Empörung über feministische Politiken, ein »Recht auf Abtreibung« zu denken und zu fordern, habe ich Verständnis. Wenngleich diese Empörung mir gerade von konservativer Seite oft hysterisch daherkommt, so teile ich doch gewisse Bedenken. Wenn eine schwangere Frau die Mutterschaft ablehnt – dieses Recht hat sie im Rahmen der Selbstbestimmung – heißt das eben nicht zwingend, daß sie auch die Schwangerschaft vorzeitig beenden darf. Eine allgemein akzeptierte Möglichkeit, der freien Entscheidung gibt es heute vor der Empfängnis (Recht auf Verhütung) oder nach der Geburt des Kindes (Adoptionsfreigabe) bestenfalls als Recht auf freiwillige Anerkenntnis und wäre als solches einzufordern. Aber eben nicht dringlich ist die Möglichkeit zur Abtreibung, die oft genug als »Recht auf Abtreibung« halluziniert wird. Das Geburtsrecht des ungeborenen Kindes ist bedeutender als die Unwilligkeit der Schwangeren, Mutter dieses Kindes zu werden. Und auch bedeutender als soziale Notlagen, die eben nicht dadurch beseitigt werden, daß kein Kind hineingeboren wird.
Möchte eine Frau nicht Mutter werden, ist Empfängnisverhütung in vielerlei Varianten leicht zu haben. Aber eine Frau sollte auch nicht ohne Widerspruchsrecht genötigt werden, eine Mutter zu werden – sprich Verantwortung für ein Kind übernehmen zu müssen –, nur weil sie eben schwanger ist. Diesen ethischen Konflikt löst man aber nicht über straffreie oder legale Möglichkeiten, eines »Abtreibungsrechts«, sondern über das Familienrecht.
Als vernünftige Lösung sehe ich die seit 1998 in Frankreich geltende Regelung, nach der Mutter- und Vaterschaft – ganz ungeachtet der elterlichen Beziehung zueinander – an das freiwillige Anerkenntnis geknüpft werden. Daran gebunden, erhalten die Eltern (die nicht die biologischen sein müssen, aber meist sind) auch die sozialen Rechte wie Sorgerechte und Unterhaltspflichten anerkannt, auch hier gleichgestellt.
Das verständliche Bedürfnis auf Anonymität bei Ablehnung der Elternschaft wird nach französischem Recht sogar durch einen Rechtsanspruch auf Anonymität und eine praktische Möglichkeit, dieses auch einzuklagen durchgesetzt. Das gilt natürlich für Mutter wie Vater. Anonyme Geburten sind in Frankreich eine legale und anerkannte Möglichkeit. Möchte in Deutschland eine Frau, die biologisch wie rechtlich mit dem Tag der Geburt eines lebenden Kindes Mutter ist (siehe § 1591 BGB: Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat), diese Rolle nicht übernehmen, möchte aber das Kind entbinden, kann sie die Mutterschaft nur über Adoptionsfreigabe lediglich wieder abgeben. Und verwirkt so unter behördlicher Registrierung jedes Recht, anonym zu bleiben. Anonyme Geburten sind zwar möglich, aber illegal und eine Kostenfrage. Die Möglichkeit der freiwilligen Anerkennung sozialer und rechtlicher Elternpflichten, gibt es in Deutschland nur für ledige Väter (siehe § 1592 Pkt. 2 BGB: Vater eines Kindes ist der Mann, (…) der die Vaterschaft anerkannt hat), aber nicht für ledige Mütter. So hat ein Neugeborenes hierzulande in jedem Fall eine Mutter, aber nicht zwingend einen Vater. Nur der Vater kann – wenn die Mutter es so will – anonym bleiben, da er ohne jeden rechtlichen Nachteil nirgendwo registriert wird. Aber die leibliche Mutter wird das nach jetzigem Recht eben immer.